Das Jahr 1826 – Kalenderblätter aus dem Brennpunkt der Romantik

Eberhard Friedrich Walcker hat sich, wie in der einschlägigen Literatur beschrieben, im Jahre 1820 in Ludwigsburg selbständig gemacht und bis 1826 die Orgeln in Kochersteinsfeld, Weinsberg und Stuttgart-Garnisonskirche neu gebaut.
Und wie aus den Sack-und Schreibkalendern hervorgeht sind in dieser Zeit viele andere Arbeiten gemacht worden. Besonders interessant aber waren für mich die Hinweise auf andere Orgelbauer, die ich hier wiedergeben möchte.
Zuvor ein Hinweis auf die Art dieser Kalender.
In der Zeit 1814 bis 1830 hat Eberhard Friedrich immer dieselben Kalender gewählt, die alle ungefähr dasselbe Format hatten (98mm Breite, 155mm Höhe). Das Deckblatt hat in der Regel die Bezeichnung „ Verbesserter genealogischer Sack- und Schreibkalender für Protestanten und Katholiken für das Jahr …“
Jeder Monat hat ein eigenes Blatt, dem ein stabiles Notizblatt folgt, auf die Eberhard Friedrich seine Notizen verfertigte. Daneben sind eingedruckt die Daten der königlichen Familie.
Neben dem Jahr 1826, das ich einmal als Markierungspunkt verwendet habe, sind hier weitere Auszüge benannt aus den Kalendern von 1815, 1820 und 1822.

Hier ein musikalisch patentierter kunterbunter Überblick um das Jahr 1826:

1816 Ventiltrompete, Ventilhorn patentiert
1819 Orgelbauer Marcussen erfindet den „Kastenbalg“
1822 Friedrich Buschmann erfindet „Mundharmonika“
1822 Spiralbohrer für Metall erfunden
1822 Äolsklavier von Schortmann
1824 L.v.Beethoven komponiert seine 9te Symphonie
1824 Orchestrionwerkstatt von Jakob Blessing eröffnet
1825 erste Dampflok mit Personenwagen fährt in England
1826 erste Fotografie von J.N.Niépce
1826 Joseph Freiherr von Eichendorff publiziert „Aus dem Leben eines Taugenichts“
1826 Ohmsches Gesetz vom deutschen Physiker Ohm aufgestellt
1826 der deutsche Klavierbauer Carl Bechstein und der Industrielle Friedrich Siemens werden geboren
1826 Carl Maria von Weber gestorben
1828 Paganini tourt durch Deutschland
1829 Schubert „acht Improptus“
1829 Chopin in Wien

1810- 1825 Unabhängigkeitskrieg in Südamerika
1823-1832 Eckermann „Gespräche mit Goethe“

1829 Goethe „Wilhelm Meisters Wanderjahre“ letzte Fassung
1829 Patent für Akkordeon
1830 Berlioz „Symphonic phantanstique“
1830 Nähmaschine erfunden

Eberhard Friedrich Walcker wurde zum letzten Gefecht gegen Napoleon am 3.Juli 1815 eingezogen, aber nach 2 Tagen wieder entlassen. Die Sache hatte sich erledigt. Die Nachricht, dass Napoleon die Schlacht in Waterloo am 18.Juni 1815 verloren hatte, dauerte zwei Wochen bis sie im Schwabenlande angekommen war. Wichtig für Eberhard Friedrich war, dass er von einer nicht näher benannten Person einen Geldbeutel zum seinem 21.Geburtstag geschenkt bekam. Dieser Geldbeutel ist in meinem Archiv. Es befinden sich auch noch weiße Haare des Meisters darin. Ich kann versichern, dass darin nicht viel Platz für größere Beträge ist. Mit zehn Zwei-Eurostücken ist das Ding restlos gefüllt.
Text: Den 3.Juli wurde ich zum Landesaufgebot ausgehoben. … trat ich den Marsch nach Sulz an .. wurde ich unter das 5te Regiment erste companie 4ter zug eingerükt. Am 5ten wurde ich wieder entlassen. An meinem Geburtstag von C:- einen Geldbeutel und Mochouare zum Andenken erhalten.
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Das Jahr 1820
hier steht im Mai: am 7ten Ludwig Keller entlassen und dagegen Andreas Laukhuff v. Bretzfeld eingestellt . Interessant die Schreibübungen von EFW, indem er sich als Possesor und Orgelmacher Walcker mit geschwungenen Linien und Schönschrift übt.
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Das Jahr 1822
Text: am 16.Mai habe ich meinem Schwager Andreas Laukhuff geliehen: 100 Taler – diese nach landläufigem Zins zu .. verbindet sich Andreas Laukhuff (Unterschrift) . Obiges Capital den 17ten Juli selbst dem betreffenden Zins .. bezahlt F.Walcker (Unterschrift)

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Das Jahr 1826
Im Januar wurde die alte Orgel in der Garnisonskirche zu Stuttgart abgebrochen. Im März steht: Nach Ostern 1826 habe ich den Carl Weigle förmlich in die Lehre aufgenommen. Unter der Bedingung 6 Jahre lang zu lernen und jährlich 5f: als Entschädigung für die ersten Jahre zu zahlen. Also erstaunlich ist, die recht lange Lehrzeit, die mit ganz beträchtlichen Kosten für den Lehrling verbunden war! Nun wissen wir also, worher die hervorragende Qualität damaliger Orgeln herkam.

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gwm 4.Jan.08

*WEIGLE, Carl Gottlieb, Orgelbauer und Begründer einer renommierten Orgelbauwerkstätte in Stuttgart, später Leinfelden-Echterdingen, * 19.11. 1810 in Ludwigsburg, + 16.11. 1882 in Stuttgart. – Der Sohn eines Rotgerbers begann nach Abschluß seines Schulbesuchs ab 1826 in Ludwigsburg eine Orgelbaulehre bei Eberhard Friedrich Walcker, dessen 1. Frau Luise Beate Weigle eine Tante W. war. Hier erhielt er die denkbar beste Ausbildung und brachte es in langjähriger Tätigkeit mit Auslandserfahrung zum ersten Gehilfen Walckers. An den wichtigsten und meist außergewöhnlichen Orgelaufträgen des Hauses Walcker war er in seiner 19jährigen Tätigkeit beteiligt, z.B. Frankfurt, Paulskirche 1833, Tübingen 1835, Petersburg 1840, Reval 1842 und Stuttgart, Stiftskirche 1839-45. Außerdem erlebte er direkt die Entwicklung der Kegellade zur Praxisreife mit. 1845 verließ er den Betrieb und machte sich in Stuttgart selbständig. Trotz der übermächtigen und nahen Konkurrenz seines Lehrmeisters schuf er sich mit der ihm eigenen künstlerischen Begabung und peinlich sauberen Handwerksarbeit einen eigenen Kundenstamm hauptsächlich in evangelischen Kirchen Württembergs, eroberte aber ab 1851 auch schon ausländische Märkte. W. baute Orgeln mit Kegelladen und mechanischer Traktur. 1870 konstruierte er die erste rein elektrische Orgel in Europa und 1873 eine weitere für die Weltausstellung in Wien. Darin zeigte sich nicht nur seine Freude am Experimentieren, sondern auch seine Fähigkeit, Theorie und Praxis geschickt in Einklang zu bringen. Unter seinen Söhnen und Nachfolgern sollte sich dieser fortschrittliche Unternehmergeist mit der Entwicklung und Patentierung der pneumatischen Membranenlade fortsetzen. Bis zur Geschäftsübergabe an seinen Sohn Friedrich W. (1850-1906) am 1.1.1880 entstanden in den Stuttgarter Werkstätten rund 100 neue Orgeln, davon allein 9 für Übersee. Weigles Orgeln zeichneten sich »durch hervorragende Schönheit und den ganzen Geist der Treue, Sorgfalt und Gewissenhaftigkeit aus« (Kümmerle).

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