Frankfurt Paulskirche – Mythos und Facts II.Teil

Eberhard Friedrich Walcker zum 213.ten Geburtstag

Und zwar wollen wir heute eine Geschichte aus der Zeitschrift „Daheim“ aus dem Jahre 1869 berichten. Es war hier ein Herr Karl Friedrich Klaiber, der im Jahre 1868 Eberhard Friedrich Walcker in der Ludwigsburger Werkstätte besuchte und interessante Details der Werkstatt und des technischen Orgelaufbaus vermeldete.

Am Ende des Artikels haben wir rund 1-2 Seiten Originaltext Eberhard Friedrich Walcker – und hieraus sind besonders seine Anmerkungen zur Frankfurter Paulskirchenorgel von Bedeutung.

(der komplette Artikel wird in der nächsten Folge als Original in 4 jpg-Dateien hier upgeloaded)

Hier Auszug in heutiger Rechtschreibung

(…) Doch treten wir in die Werkstätte – in der Tat eine Reihe von Werkstätten – selbst ein, so lernen wir an dem Meister einen freundlichen, beim ersten Anblick durch den Ausdruck schlichter Einfachheit gewinnenden Greis von 74 Jahren ( er ist geboren in Cannstatt den 3.Juli 1794) kennen. Gestattet es seine Zeit, so wird er selbst auf die liebenswürdigste Weise unsern Führer machen und nicht ermüden, einem verständigen und wissbegierigen Besucher die wichtigsten Elemente des Orgelbaues deutlich zu machen, von den mehr äußerlich technischen Arbeiten bis zu den zarten musikalischen Feinheiten, Vorteilen und teilweisen- wenigstens für und – Geheimnissen. Dabei werden wir erfahren, dass es fast keinen Teil des Orgelmechanismus oder seiner Verfertigung gibt, der nicht durch Walcker eine Verbesserung, zum Teil eine völlige Umwandlung erfahren hätte.

Sogleich in dem einen Teil. der Werkstätte, der weder ideal aussieht, noch für das Ohr sich mit seinem Sägen, Hobeln, Hämmern, musikalisch vernehmen lässt, – in der Schreinerei treffen wir wesentliche Verbesserungen in der Konstruktion der Blasbälge. Der Meister belehrt uns über die zwei gebräuchlichen Arten von Blasbälgen, die sogenannten Faltenbälge und Kastenbälge. Beide Arten sind von Walcker vorzugsweise von dem Gesichtspunkt aus umgewandelt worden, dass durch einen gleichmäßigeren Gang des Blasbalges auch ein gleichmäßiger Zuzug des Windes zu den Orgelpfeifen – eine begreiflicherweise für den Toneffekt höchst wichtige Sache – hervorgebracht wird. Diese beiden verbesserten Arten werden von Walcker nach Umständen angewendet. Meistens gibt er den von ihm verbesserten Kastenbälgen, von ihm Stöpselbälge genannt, den Vorzug wegen ihrer Einfachheit, Dauer, gleichmäßigen Gangs und geringeren Raumumfangs. Es ist ihm aber mehrmals bei dieser Verbesserung, wie bei anderen begegnet, dass er sie bei dem Bau einer Orgel zwar anbringen wollte, aber nicht durfte. Denn die Besteller glaubten, als die Bezahler, in mehr als einem Falle die Sache besser zu verstehen als der Meister und verlangten hartnäckig die alten Einrichtungen.

Anderswo finden wir Arbeiter damit beschäftigt, aus ausgewählten, abgelagerten Holze kurze und lange, enge und weite Pfeifen mit mathematische genauer Einhaltung der Dimensionen nach Länge und Weite zu fertigen.

(…) Eine besondere Art bilden die Zungenpfeifen, bei welchen im Mundstücke eine metallene Zunge eingefügt ist, deren durch den eingeblasenen Wind herbeigeführte Bewegung dem Tone seine Eigentümlichkeit verleiht. Es wird uns gezeigt, wie es zwei Gattungen derselben gibt, mit aufschlagenden Zunge und mit freischwingender Zunge; die letztere Gattung ist durch Walcker in den Orgelbau eingeführt worden. Bekannt ist, wie durch eigentümliche Konstruktionen der Pfeifen die Tonart verschiedener musikalischer Instrumente in großer Mannigfaltigkeit, die Flöte, die Trompete, die Posaune , die Clarinette, das Violon und andere nachgeahmt werden und wie durch deren Mannigfaltigkeit und ihre Verbindungen und Abwechslungen beim Orgelspiel der Musiker in Stand gesetzt ist, die erhabensten und feierlichsten, wie die zartesten und lieblichsten Toneffekte hervorzubringen – geeignet das eine Mal zu selbstständiger Orgelmusik, das andere Mal zu Begleitung des Gesangs in der reichsten Variation.

(…) Es sind die von ihm erfundenen sogenannten Springwindladen mit Kegelventilen, eine Einrichtung welche er zuerst bei einer für das nördliche Russland bestimmten Orgel anwendete.

(…) Es ist schon der Mühe wert, das Regierwerk einer kleineren Orgel anzusehen. Noch interessanter freilich ist es m aus dem Munde des Meisters sich über die Vorrichtungen belehren zu lassen, die er an seinen großen Werken getroffen hat. Bei der großen Orgel im Münster von Ulm von hundert klingenden Registern sind es vier Manuale und zwei Pedale mit den verschiedensten Vorrichtungen für Anschwellung und Kollektivzüge, teils fürs ganze Werk, teils für einzelne Stimmen und Klaviere, die ich vermittels derselben vom leisesten Hauche bis zur vollen Stärke des ganzen Crescendo anschwellen und es ebenso wieder verschwinden machen lassen. Jedes dieser Manuale ist mit einer sogenannten Pneumatik versehen, das heißt vor jedem Ventil befindet sich ein kleines Blasebälgchen.

Originalzitate Eberhard Friedrich Walcker :

(…) zu Orgel Boston 1862 : Das Gebläse wird bei diesem Werk durch ein e kleine Dampfmaschine in Bewegung gesetzt, deren Tätigkeit sich selbst nach dem jeweiligen Windverbrauch reguliert und so das Werk auf die zuverlässigste, ruhigste und gleichmäßigste Weise mit Wind versieht.

(…) Ich wurde zwanzig Jahre alt, bis ich die erste neue Orgel in der Werkstätte meines Vaters durfte bauen helfen. Doch fand ich eine besondere Förderung in meinem Fache durch den bekannten Abbé Vogler. Dieser kam auf seinen Kunstreisen auch nach Cannstatt und ließ sich dort, wie er auch sonst pflegte, für seine Produktionen die Orgelpfeifen nach seinem besonderen, sogenannten Simplificationssystem – gegründet auf die genaueste physikalische Grundlage – zusammenstellen, wodurch er eine bis dahin unbekannte Fülle, Wohllaut, Kräftigkeit und Harmonie des Orgelspiels erreichte. Ich selbst wurde von Vogler beigezogen, und es gelang mir schon damals, durch Vogler geleitet und aufmerksam gemacht auf die mathematisch-physikalische Basis des gesamten Tonsystems, zu seiner Zufriedenheit eine reinere, harmonischere und kräftigere Intonation der Orgelpfeifen herzustellen, als bisher gewöhnlich war. Im Jahre 1821 gründete ich mein eigenes Geschäft hier in Ludwigsburg. Ich musste klein anfangen und hatte lange schwere Zeit. Endlich wurde die Mühe, die ich auf das Studium der Theorie des Orgelbaus gewendet, belohnt, als ich in den Jahren 1829-33 meine erste große Orgel bauen durfte.

Die Stadt Frankfurt am Main hatte für die dortige Paulskirche eine Konkurrenz für die Erbauung einer neuen Orgel ausgeschrieben. Nicht weniger als 34 Orgelbauer beteiligten sich dabei. Ich selbst wollte anfangs nicht, weil mir kaum das zur Fertigung eines so großen Werkes nötige Kapital zu Gebot stand. Erst auf mehrfache Aufforderung entschloss ich mich zur Bewerbung. Es dauerte aber drei Jahre, bis ich mit der Baukomission ins Reine kam. Meine eingesendete Registerdisposition, bei welcher ich einerseits dem Voglerschen System folgte, andererseits dem Instrument den der Größe der Kirche entsprechenden großartigen Toncharakter zu geben suchte, zog zwar die Aufmerksamkeit der Baukomission auf sich, insbesondere zweier Mitglieder derselben, des Hofrats Andree von Offenbach und Herrn Schnyder von Warthensee, damals in Frankfurt. Die Konkurrenten aber erhoben eine Menge Einwendungen und Streitfragen,insbesondere gegen das Voglersche System. Die Widerlegung wurde mir zwar nicht schwer; gleichwohl scheiterte ich fast noch zuletzt, als ich den Abschluss des Akkords sicher glaubte, und später bei der Ausführung. Ich hatte nämlich in meinen Plan ein offenes 32 füßiges Bassregister aufgenommen, d.h. ein Register von offenen Holzpfeifen, deren größte 32 Fuß Länge haben und die tiefsten Basstöne bis zum Contra C hervorbringen sollte. Aber gerade dagegen sträubte sich die Baukomission. Hofrath Andree fragte mich, ob dieses Register zum Gebrauch oder zur Dekoration proponiert sei? Ich antwortete, ob er mich für einen Schwindler halte? Ich wolle dieses Register zum Spielen und Hören, nicht zum Beschauen bauen. Andree meinte weiter, er habe zwar die berühmtesten Bässe wohl gesehen, aber nie gehört; keiner habe einen deutlichen, vernehmlichen, musikalischen Ton von sich gegeben und er, Andree, halte solche Tontiefe überhaupt für ein musikalisches Unding und solchen Bass für einen bloßen Windfresser; die Kommission gebe einen recht gesunden, deutliche, 16 füßigen Basse bei weitem den Vorzug.

(Fortsetzung folgt)

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