Ich, Eberhard Friedrich Walcker, Orgelbauer von Gottes Gnaden und Auftrag….“

Die wahre Geschichte zur Frankfurter Paulskirchenorgel aus den Worten des Erbauers erzählt.
„Ich selbst“, schreibt er, „wollte anfangs von einer Bewerbung abstehen, weil mir das zur Fertigung eines so großen Werkes nötige Kapital nicht zu Gebote stand. Erst auf mehrfache Aufforderung entschloß ich mich dazu. Drei Jahre dauerten die Verhandlungen mit der Baukommission, bis ich endlich mit ihr ins Reine kam. Meine eingehende Registerdisposition, bei welcher ich einerseits dem Vogler’schen System folgte, andererseits dem Instrument den der Größe der Kirche entsprechenden, großartigen Ton-Charakter zu geben suchte, zog- zwar die Aufmerksamkeit der Baukommission auf sich, insbesondere zweier Mitglieder derselben, Hofrats Andree von Offenbach und des Herrn Schneyder von Wartensee, damals in Frankfurt.
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Die Konkurrenten aber erhoben eine Menge von Einwendungen und Streit¬fragen, insbesondere gegen das Vogler’sche System. Die Widerlegung wurde mir gar nicht schwer, hatte ich doch den großen Wert der Vogler’schen Erfindung durch Vogler selbst praktisch und theoretisch kennengelernt. Gleichwohl scheiterte ich fast noch zuletzt, als ich den Abschluß des Akkords sicher glaubte und später bei der Ausführung. Ich hatte nämlich in meinem Plan ein offenes 32füßiges Register aufgenommen, d.h. ein Register mit offenen Holzpfeifen, deren größte 32 Fuß Länge haben und die tiefsten Baßtöne bis zum Doppel-Contra-C hervorbringen sollte. Aber gerade dagegen sträubte sich die Baukommission.
Hofrat Andree fragte mich, ob das Register zum Gebrauch oder zur Dekoration proponiert sei. Ich antwortete, ob er mich für einen Schwindler halte. Ich wollte dieses Register zum Spielen und Hören, nicht zum Beschauen, bauen. Andree meinte weiter, er habe zwar die größten und berühmtesten Orgelwerke Europas kennengelernt und darin solche Bässe wohl gesehen, nie aber gehört; keiner habe einen deutlichen musikalischen Ton von sich gegeben und er, Andree, halte solche Tontiefe überhaupt für ein musikalisches Unding und solchen Baß für einen bloßen Windfresser. Die Kommission gebe einem recht gesunden 16füßigen Baß bei weitem den Vorzug.
Dies war mir aber umso bedauerlicher, als ich gerade durch dieses Register dem Werk die Krone aufsetzen, der ganzen Tonmasse erst das volle Relief, den wahren Charakter geben wollte. Ich bestand deshalb auch mit aller Beharrlichkeit auf der Ausführung dieses Baßregisters und es wurde mir dasselbe endlich, auf meine feierliche Versicherung, daß ich rneines Kalküls sicher sei, gestattet, unter der ausdrücklichen Bedingung, daß ich nicht bloße Kasten, die ein sturmwindartiges Gebrause hervorbringen, sondern Pfeifen herstellen wolle, die einen klaren, deutlichen Ton von sich geben. Aber durch welche Angst und Not mußte ich mit meinem 32füßigen Basse gehen!
Als die fertige Orgel in Frankfurt aufgestellt wurde, war nach dem Vor¬gesagten der Vorstand der Baukommission, Hofrat Andree, begreiflicherweise ganz besonders auf dieses Register begierig. Er kam täglich selbst, um nach dem Fortgang des Werkes zu sehen. Wiederholt zeigte er sich erfreut über die egale und feine Intonation der einzelnen Register und wurde nur immer verlangender nach dem tiefen Baß.
Endlich waren auch diese kolos¬salen Pfeifen eingesetzt. Aber wer malt mein Erschrecken, als ich die Tasten anschlug und bei den tieferen Pfeifen der Ton versagte. Die prompte und tiefe Intonation auch der tieferen dieser Stimmen war mein besonderes Anliegen gewesen, und nun mochte ich versuchen, was ich wollte, meine Pfeifen leisteten das nicht, was ich versprach, d. h. sie gaben keinen reinen Ton von sich. Glücklicherweise war Hofrat Andree bei diesem ersten Versuch nicht anwesend und so nicht Zeuge meiner Not. Nun konnte ich in der Stille und, ohne daß jemand etwas merkte, nachdenken und probieren. Wie oft aber mußte ich dem Hofrat auf seine immer dringendere Frage: „Was macht der 32 füßige“, mit immer schwächerer Hoffnung und Zuversicht antworten: „Nur noch ein klein wenig Geduld!“.
Unterdessen versuchte ich, was möglich war, aber es half nichts. Ich revidierte mein mathematisch-physikalisches Kalkül; das war richtig und fehlerlos, aber meine Pfeifen taten eben ihren Dienst nicht. Meine Intonationskunst, auf die ich so stolz war, schien eben beim Contra-C an ihrer Grenze zu sein und der Umstand, daß mein Kalkül sich bei mehrfacher Revision als untadelhaft erwies, weckte in mir den schrecklichen Gedanken, daß solche Töne für das menschliche Ohr gar nicht mehr vernehmbar seien.
In dieser Not und innerlich gedrückt ging ich eines Tages die Kirchen¬treppen hinab, seufzend zu dem, der mir schon oft aus der Not geholfen und schon manches hatte gelingen lassen. Ich wollte in der nahen Werkstatt nach meinen Arbeitern sehen; da höre ich plötzlich, von der Richtung der Werk¬stätte herkommend, einen außerordentlich starken und sehr tiefen Ton. „Das ist ja mein gesuchter Baß!“ rufe ich mir selber zu, und nach einigen raschen Schritten trete ich in die Werkstatt vor meine Arbeiter hin. „Was habt ihr da gemacht?“ fragte ich sie in größter Aufregung. Die so angefahrenen, harmlosen Leute schauten mich verwundert an und wußten keine Silbe zu erwidern. Ich sage ihnen, daß ich einen außerordentlich starken, sehr tiefen Ton, direkt von ihrer Werkstätte her, gehört habe, und sie möchten mir erklären, wo der herkommen könne. Ja, antworteten sie, einer von ihnen habe etwas leimen und den Leim warmmachen wollen und habe, um schnell fertig zu werden, einen ganzen Haufen Hobelspäne in den hier befindlichen Windofen geworfen und angezündet. Diese seien plötzlich in Brand geraten, und davon hätten der Ofen und der Kamin so gebrummt, daß sie alle erschrocken seien.
Sogleich ließ ich das Experiment wiederholen, und abermals ließ sich aus dem Kamin derselbe donnerähnliche Ton in ganz deutlicher Unterscheidbarkeit vernehmen und zwar noch einen Ton tiefer, als das Doppel-Contra-C meines Basses werden sollte. Nun atmete ich wieder leichter; denn der Sorge, daß solch tiefe Töne für das Ohr nicht mehr recht faßbar seien, war ich enthoben. Zuerst untersuchte ich nun den Kamin; denn die in demselben eingeschlossene Luftsäule hatte ja den Ton hervorgebracht durch ihre Vibration. Es ergab sich bei der Abmessung, daß der innere Raum des Kamins mathematisch genau mit dem Kubikmaße der Luftsäule eines 64füßigen A-Tones übereinstimmte, und damit war einmal die Richtigkeit meines mathematischen Kalküls bestätigt. Aber woher kam es, daß der Kamin einen so deutlichen Ton hervorbrachte, die Pfeifen dagegen nicht? Endlich kam ich auf die Lösung des Rätsels. Die aus Backsteinen zusammengesetzten Wände des Kamins waren stark genug, um der Vibration solcher gewaltigen Luftsäule die zur gesunden Reproduktion erforderliche Resistenz entgegenzusetzen, nicht so die schwachen Wände der betreffenden Pfeifen. Durch Verdoppelung mußte ich sie verstärken und dann das ganze Register durch starke eiserne Bänder zu einem Block verbinden. Das Resultat war, daß nicht allein die 8 untersten Töne des Basses mit voller Wucht und ganz deutlich ertönten, sondern auch die höheren Noten, die zuvor schon befriedigten, hatten so bedeutend gewonnen, daß man jeden Ton um eine Oktave tiefer zu hören glaubte.
Nun endlich konnte ich auf die erneute Anfrage des Hofrats: „Was macht der 32Füßer?“ antworten: „Er ist fertig“. „Nun, so lassen sie ihn hören!“ war die Antwort. Ich fing bei der höchsten Note des Registers an und ging langsam die Skala herunter. Als ich nun die unterste Oktave ansprechen ließ, rief Andree ganz verwundert aus: „Was! noch tiefer? noch tiefer?“ Schließlich eilte er zu mir auf die Orgel, gratulierte mir aufs herzlichste zum Gelingen meines Werkes, umarmte und küßte mich in ganz exaltierter Freude, und von da an fehlte es mir nie und nirgends an der nötigen Empfehlung. Auf die weitesten Entfernungen hin durfte ich Orgeln bauen, und alle trugen zur Befestigung meines nunmehr erworbenen guten Rufes bei.
EFWalcker (abgeschrieben gwm 28.1.09

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